Bürgermeister Marko Schilling im Interview

Vom Vorranggebiet zum Standortvorteil: Wie Lüttow-Valluhn die Windenergie nutzen will

Am 1. Oktober stellte der Regionale Planungsverband Westmecklenburg den finalen Entwurf des Regionalplans vor. 1,46 Prozent der Fläche in der Region wurden gemäß der Bundesvorgaben als Windvorranggebiete ausgewiesen – darunter auch eine Fläche in der Gemeinde Lüttow-Valluhn. Während andernorts noch Skepsis zu finden ist, verfolgt man hier einen pragmatischen Ansatz: Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, soll die Gemeinde profitieren.

Bürgermeister Marko Schilling bringt dafür die nötige Erfahrung mit. Als zweiter Stellvertreter des Amtsvorstehers, langjähriger Amtsvorsteher, Mitglied im Aufsichtsrat der WEMAG-AG und Mitarbeiter im Finanzressort des Landes Mecklenburg-Vorpommern vereint er Fachkenntnisse in Verwaltung, Finanzen und Energie. Gemeinsam mit der Gemeindevertretung handelt er im besten Interesse der Kommune – mit dem Ziel, die Potenziale der erneuerbaren Energien in Wertschöpfung für Lüttow-Valluhn zu verwandeln.

Wir haben mit ihm über Erwartungen, Planungen und die Haltung in der Gemeinde gesprochen.

Herr Schilling, wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass Ihre Gemeinde im neuen Regionalplan mit einem Windvorranggebiet berücksichtigt wurde?

Positiv. Das Vorranggebiet Nr. 21/25 war bereits 2014 im Regionalplan enthalten. Seitdem beschäftigen wir uns in der Gemeinde immer wieder mit der Frage: Wie können wir erreichen, dass Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen vor Ort von der Windkraft profitieren? Das größte Problem war lange Zeit die fehlende Planungssicherheit – verursacht durch politische Entscheidungen auf Bundesebene und zögerliche Haltungen im Planungsverband.

Viele Gemeinden reagieren eher zurückhaltend auf neue Windflächen. Warum ist es in Lüttow-Valluhn anders – warum sehen Sie darin eine Chance?

Die aktuellen Zeiten zeigen deutlich, dass wir uns von fossilen Energieträgern lösen müssen. Wir wollen unabhängiger werden und die Transformation als Chance begreifen – für Deutschland und für die Gemeinde. Ich stimme Bundesminister Carsten Schneider zu, der kürzlich sagte: „Deutschland, das heute mehr als die Hälfte seines Stromes aus erneuerbaren Energien gewinnt, will und muss hier einer der Vorreiter bleiben. Nicht nur, um die Klimakrise zu bewältigen, sondern um technologische Führung zu sichern, neue Märkte zu erschließen und das Leben konkret zu verbessern.“

Genau das wollen wir in Lüttow-Valluhn: Ein Energiecluster aufbauen, von dem die gesamte Region profitiert. Windenergie ist dabei nur ein Baustein – neben Photovoltaik, Wasserstoff und Wärmeversorgung.

Ein Vorranggebiet bedeutet noch nicht automatisch einen Windpark. Gibt es bereits Gespräche mit Projektierern oder erste Planungsansätze?

Ja. Gemeinsam mit der Naturstrom AG haben wir eine Fortschreibung des Flächennutzungsplans auf den Weg gebracht. Parallel arbeiten wir mit Partnern wie der WEMAG AG, der Trigenius GmbH, den Gemeinden Gallin und Zarrentin am Schaalsee daran, ein ganzheitliches Energiecluster zu entwickeln.
Konkret geht es bereits heute schon um die Versorgung eines ortsansässigen Unternehmens mit Strom aus unserem Solarpark, an dem die Gemeinde zu 25 % beteiligt ist, die Ansiedlung eines Rechenzentrums und eine mögliche Wasserstoffproduktion im Businesspark A 24. Damit ließe sich zugleich eine nachhaltige Wärmeversorgung der umliegenden Orte aufbauen.

Welche Größe halten Sie für realistisch – wie viele Anlagen könnten auf dieser Fläche entstehen?

Technisch wären bis zu 20 Anlagen möglich. Realistisch, auch in Abstimmung mit der Gemeinde, sind 7 bis 8 Windkraftanlagen, später vielleicht noch 2 bis 3 weitere. Damit bleibt die Entwicklung überschaubar und es entsteht Planungssicherheit für die Gemeinde. Vorgesehen sind moderne Windenergieanlagen mit 175 Metern Nabenhöhe.

Wann könnten aus Ihrer Sicht die ersten Anlagen stehen?

Wenn die Genehmigungsverfahren reibungslos laufen und die Projekte bei der Ausschreibung durch die Bundesnetzagentur einen Zuschlag erhalten, können die ersten Anlagen 2027 oder 2028 in Betrieb genommen werden.

Sie und die Gemeindevertretung haben schon ein Flächenpooling mit den Landeigentümern organisiert. Was versprechen Sie sich von diesem Ansatz, und wie profitieren alle Beteiligten davon?

Die Gemeinde hat im Vorranggebiet kaum eigene Flächen. Deshalb sind wir gemeinsam mit der Naturstrom AG auf die insgesamt zehn Flächeneigentümer zugegangen und haben offen über Vor- und Nachteile gesprochen. Schon in der ersten Runde bestand Einigkeit, dass ein Pooling sinnvoll ist – um Konkurrenzsituationen zu vermeiden und alle entsprechend ihrer Flächenanteile profitieren zu lassen.

Bis auf einen wohnen alle Eigentümer in der Gemeinde. Zusätzlich fließen über spezielle Nutzungsverträge pauschale Zahlungen an die Gemeinde als eine Art Pachtsolidarität, die unabhängig von einzelnen Flächenanteilen sind. Darüber hinaus profitiert die Kommune auch unabhängig vom Wegerecht direkt.

Mit der „Strom-vom-Land-GmbH“ haben Sie eine Gesellschaft gegründet. Welche Rolle soll sie spielen, wenn tatsächlich ein Windpark entsteht? Und welche Formen der Beteiligung sind über die GmbH angedacht – auch über die gesetzlich geregelten Anteile aus dem neuen Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern hinaus?

Über die GmbH wollen wir uns mit bis zu 25 Prozent an der Betreibergesellschaft des Windparks beteiligen. Erste Gespräche mit der Rechts- und Kommunalaufsicht des Landkreises und der Naturstrom AG haben bereits stattgefunden. Ziel ist es, nicht nur über gesetzlich geregelte Abgaben, sondern auch direkt über kommunale Beteiligung Einnahmen zu sichern.

Mit welchen finanziellen Effekten rechnen Sie langfristig – für die Gemeinde und für die Bürgerinnen und Bürger?

Genaue Zahlen sind noch schwer zu nennen. Aber aus unseren bestehenden Solarprojekten sehen wir, welches Potenzial besteht: Die Gemeinde erhält jährlich knapp 50.000 Euro aus der Beteiligung nach § 6 EEG. Und  aus der 25-Prozent-Beteiligung am Solarpark mit der Naturstrom AG hat unsere kommunale GmbH im vergangenen Jahr rund 100.000 Euro Gewinnbeteiligung erhalten.
Beim Windpark kommen weitere Einnahmequellen hinzu – von direkten Beteiligungen über günstigere Energiepreise bis hin zu einer möglichen Wärmeversorgung. Denkbar ist auch, dass wir einen Bürgerhaushalt auflegen, bei dem Einwohnende über die Verwendung von Mitteln mitentscheiden können.

Wie haben Sie die Bürgerinnen und Bürger bisher informiert? Gab es Bürgerversammlungen, Hauswurfsendungen, Flyer, digitale Formate?

Transparenz ist uns wichtig. Nach den Sommermonaten haben wir die Planungen so weit konkretisiert, dass wir noch in diesem Jahr eine Bürgerversammlung planen. Dort wollen wir verlässliche Zahlen und Rahmenbedingungen vorstellen.

Welche Rückmeldungen erreichen Sie: Begeisterung, Zustimmung, Skepsis?

Natürlich gibt es kritische Fragen, etwa zu Schall oder Schattenwurf. Einige Mitglieder der Gemeindevertretung wohnen selbst in unmittelbarer Nähe der geplanten Flächen und bringen diese Perspektiven ein. Der Umgang damit ist offen und konstruktiv. Wir sehen Zustimmung, aber auch Nachfragen, die wir ernst nehmen.

Was würden Sie anderen Gemeinden raten, die nun ebenfalls ein Vorranggebiet erhalten?

Den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern aktiv mitgestalten. Es bringt nichts, nur die Nachteile zu sehen. Die Frage ist doch: Woher soll die Energie sonst kommen? Wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, kann mit Wind und Sonne auch seine eigene Zukunft sichern.

Wo sehen Sie Lüttow-Valluhn in zehn Jahren, wenn Wind- und Solarenergie hier gemeinsam etabliert sind?

Wir wollen eine positive Entwicklung der Gemeinde erreichen – finanziell unabhängig sein, Unternehmen ansiedeln, die Infrastruktur verbessern und echte Bürgerbeteiligung organisieren. Wenn Wind- und Solarenergie hier etabliert sind, haben wir die Chance, Vorreiter in der Region zu werden.

 

Fazit

Lüttow-Valluhn gehört zu den Gemeinden, die die Ausweisung eines Windvorranggebietes als wirtschaftliche Chance verstehen. Mit einem bereits erfolgreichen Solarpark, einem durchdachten Flächenpooling und der Gründung einer eigenen GmbH sind die Voraussetzungen geschaffen, um die Energiewende vor Ort aktiv zu gestalten und die daraus resultierenden Einnahmen für die Gemeinde nutzbar zu machen.

Das Beispiel zeigt: Wer Chancen erkennt und konsequent nutzt, kann die Energiewende zu einem Standortvorteil machen – für die Kommune und ihre Bürgerinnen und Bürger.