„Ein wirksames Mittel gegen hohe Netzentgelte ist es, die Stromnetze auszubauen.“
Auf einen Schnack mit Dr. Jonas Wussow, Bürgerdialog Stromnetz – Teil 2
Der Bürgerdialog Stromnetz ist eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Initiative, die Bürger*innen über Energiewende und Stromnetzausbau informiert und Räume für offenen Austausch schafft. Die LEKA MV hat mit Dr. Jonas Wussow, Regionaler Ansprechpartner des Bürgerdialog Stromnetz für Mecklenburg-Vorpommern, über den Netzausbau in Deutschland gesprochen. Im zweiten Teil unseres Interviews geht es um die aktuelle Ausbausituation der Netze sowie um hohe Netzentgelte in Mecklenburg-Vorpommern.
Wie schlägt sich Mecklenburg-Vorpommern beim Umstieg auf erneuerbare Energien, Herr Dr. Wussow?
Dr. Jonas Wussow: Sehr gut. Mecklenburg-Vorpommern ist das erste Bundesland, das sich rechnerisch – also ohne Stromexporte – zu 100 Prozent aus regenerativen Energien versorgen kann.[1] Insgesamt stammten im Jahr 2021 knapp 78 Prozent des hier produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen.[2] Damit liegt das Land im bundesweiten Vergleich ganz vorne.[3]
Wenn Mecklenburg-Vorpommern Vorreiter bei den Erneuerbaren ist – warum stehen die Windräder dann so oft still?
Dr. Jonas Wussow: Das liegt an den sogenannten Redispatches: Droht an einer Stelle im Netz ein Engpass, müssen die Netzbetreiber die Kraftwerke, die vor diesem Engpass liegen, anweisen, ihre Leistung herunterzufahren. Die Kraftwerke hinter dem Engpass müssen ihre Leistung hochfahren, damit im Netz weiterhin genug Leistung zur Verfügung steht. In solchen Situationen stehen die Windräder manchmal still.[4] Das ist natürlich doppelt ärgerlich: Weil wir kostbare regenerative Energie nicht nutzen, was sich negativ auf die Stromkosten in Mecklenburg-Vorpommern auswirkt.
Das müssen Sie erklären.
Dr. Jonas Wussow: Ein Redispatch verursacht Kosten: Der Netzbetreiber muss den Betreiber der heruntergefahrenen Anlage für die Energie, die er nicht ins Netz einspeisen konnte, entschädigen. Und auch bei der hochgefahrenen Anlage entstehen Kosten. Das alles müssen die Netzbetreiber auf die sogenannten Netzentgelte umlegen – also die Gebühren, die alle zahlen, die das Stromnetz nutzen.[5]
Also auch Privathaushalte?
Dr. Jonas Wussow: Genau. Für Privatkund*innen machen die Netzentgelte etwa ein Viertel bis Fünftel des Strompreises aus. Das kann nach Region stark variieren, denn die Netzentgelte sind nicht bundesweit einheitlich – jeder Netzbetreiber erhebt seine eigenen Netzentgelte, die dann für alle Verbraucher*innen in dem jeweiligen Gebiet gelten.
Wie macht sich das in Mecklenburg-Vorpommern bemerkbar?
Dr. Jonas Wussow: Hier betragen die Netzentgelte für Haushalte ungefähr neun bis zwölf Cent pro Kilowattstunde – das ist im deutschlandweiten Vergleich relativ viel.[6] Dafür sind zwei Faktoren verantwortlich: Zum einen produzieren wir schon viel Windstrom, aber das Netz kann mit diesen Mengen an Erneuerbaren nicht problemlos umgehen – noch nicht. Deswegen kommt es noch zu vielen Redispatches, die die Kosten erhöhen. Zum anderen ist Mecklenburg-Vorpommern vergleichsweise dünn besiedelt – die Netzentgelte verteilen sich also auf relativ wenige Verbraucher/innen.
Was muss passieren, damit die Netzentgelte wieder sinken?
Dr. Jonas Wussow: Das wirksamste Mittel ist es, die Netze bedarfsgerecht auszubauen, um Redispatches und damit zusätzliche Kosten zu vermeiden. Es braucht neue und leistungsstärkere Leitungen im überregionalen Übertragungsnetz genauso wie in den regionalen Verteilnetzen.
Welche Ausbauprojekte im Übertragungsnetz sind denn in Mecklenburg-Vorpommern geplant?
Dr. Jonas Wussow: Da gibt es einige. Besonders ist hier, dass der Netzausbau – anders als bei unseren Nachbarn Schleswig-Holstein und Niedersachsen – erst in den kommenden Jahren so richtig starten wird. Ein relativ weit fortgeschrittenes Projekt ist das sogenannte Vorhaben BBPlG 39: eine Wechselstromleitung von Güstrow über Parchim durch Brandenburg nach Wolmirstedt bei Magdeburg. Der Abschnitt dieser Leitung in MV ist zum Teil bereits genehmigt, der größere Anteil befindet sich aktuell im Planfeststellungsverfahren. [7] Viele andere Vorhaben befinden sich noch in den vorausgehenden Genehmigungsschritten.
Und wenn wir einmal etwas weiter in die Zukunft schauen?
Dr. Jonas Wussow: Ein wichtiges Projekt ist der sogenannte SuedOstLink+, der in der Gegend um Schwerin beginnt und von dort nach Magdeburg und weiter nach Süddeutschland verläuft. Der SuedOstLink+ sowie der SuedOstLink, welcher in Wolmirstedt bei Magdeburg beginnt, sind wichtige „Stromautobahnen“, die künftig große Mengen Windstrom aus Nordost- nach Süddeutschland transportieren werden.
Sie sprachen eben davon, dass es auch notwendig sei, die Verteilnetze auszubauen. Warum ist das so?
Dr. Jonas Wussow: Die Verteilnetze sind die Netzebene, in die Windenergieanlagen, mit Ausnahmen von großen Windparks, und Photovoltaikanlagen den von ihnen erzeugten Strom einspeisen. Die lokalen Netze sind vor allem darauf eingestellt, gleichmäßig fließende Ströme von den großen Kraftwerken zu den Verbraucher*innen zu transportieren – und nicht auf die teils stark schwankenden Einspeisungen von erneuerbaren Energien-Anlagen. Deshalb brauchen wir auch in dieser Netzebene mehr Kapazitäten, um Engpässe zu vermeiden.
Gibt es schon konkrete Ausbaupläne im Verteilnetz?
Dr. Jonas Wussow: Ja, eine ganze Menge – im regionalen Verteilnetz liegt es in der Natur der Sache, dass es tendenziell viele, aber dafür eher kleinere Projekte gibt. Ein etwas größeres Projekt ist beispielsweise die 110-Kilovolt-Leitung von Anklam nach Bansin auf Usedom: Da errichtet der Netzbetreiber auf der bisherigen Trasse eine 74 Kilometer lange neue Leitung, die deutlich mehr Strom transportieren kann als die alte. Solche Ersatzneubauten sind an vielen Orten in Mecklenburg-Vorpommern geplant.[8]
Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Fazit
Der Bürgerdialog Stromnetz, bis Ende 2023 gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, informierte Bürger über den Stromnetzausbau und die Energiewende. Dr. Jonas Wussow, ehemaliger Ansprechpartner für Mecklenburg-Vorpommern, erläutert, dass das Land bereits 100 % seines Stroms aus erneuerbaren Energien bezieht, jedoch oft Windräder stillstehen müssen, um Netzengpässe zu vermeiden. Diese Engpässe führen zu hohen Kosten, die auf die Netzentgelte umgelegt werden und somit die Strompreise für Haushalte erhöhen. Der Ausbau der Stromnetze ist entscheidend, um diese Engpässe und die damit verbundenen zusätzlichen Kosten zu reduzieren. In Mecklenburg-Vorpommern sind verschiedene Projekte sowohl im Übertragungsnetz als auch im Verteilnetz geplant, um die Netzkapazitäten zu erhöhen und die Versorgungssicherheit zu verbessern.
Übrigens: Den ersten Teil des Interviews mit Dr. Jonas Wussow finden Sie hier. Darin geht es um den Stand des Stromnetzausbaus in Deutschland mit all seinen Herausforderungen sowie Möglichkeiten der Beteiligung.
[2] www.laiv-mv.de/Statistik/Presse-und-Service/Pressemitteilungen/?id=190452&processor=processor.sa.pressemitteilung
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/255168/umfrage/anteil-erneuerbarer-energien-an-der-bruttostromerzeugung-in-den-bundeslaendern/
[4] www.next-kraftwerke.de/wissen/dispatch-redispatch
[5] www.next-kraftwerke.de/wissen/dispatch-redispatch#redispatch-umfang-und-kosten
[6] www.zeit.de/news/2023-07/19/kommunalverband-fuer-streichung-der-netzentgelte-in-mv
[7] www.netzausbau.de/Vorhaben/ansicht/de.html?cms_nummer=39&cms_gruppe=bbplg
[8] www.e-dis-netz.de/content/dam/revu-global/e-dis-netz/dokumente/edin_netzausbauma%C3%9Fnahmen2022.pdf