PV-Anlage auf der Kita dank Bürgerenergiegenossenschaft „Wir in Neuenkirchen (WiN)“
Die Energiegenossenschaft Neuenkirchen bei Greifswald hat es vorgemacht: Aus einer einfachen Idee bei einem Dorfrundgang ist ein gemeinschaftliches Projekt entstanden, das inzwischen zur Inbetriebnahme der ersten PV-Anlage auf der KiTa „Krümelkiste“ geführt hat.
Im Interview berichtet Mitgründer Dr. Andreas Dinklage, wie aus Nachbarschaftsgesprächen eine Genossenschaft wurde, welche Erfahrungen andere Gemeinden daraus ziehen können und warum Geduld, Netzwerke und Ehrenamt entscheidend für den Erfolg sind. Der Beitrag zeigt praxisnah, worauf Bürgermeister*innen, engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie Gemeindevertretungen achten sollten, wenn sie ähnliche Projekte anstoßen möchten.
Andreas, erzähl doch nochmal kurz, was macht Neuenkirchen als Wohnort für dich aus?
Ländlich und dörflich, schön ruhig. In Neuenkirchen kennt man sich noch – man grüßt sich auf der Straße. Gleichzeitig ist die Nähe zu Greifswald ideal, ich kann mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Für uns damals als junge Eltern war wichtig, dass sich unsere Kinder frei bewegen können. Besonders schön ist auch das starke ehrenamtliche Engagement – von der Feuerwehr über Sportvereine bis hin zum Glockenverein, der sich um den Erhalt des Dorfes kümmert. Es gibt also viele Netzwerke und man begegnet sich. So entstand bei einem Spaziergang die Idee zur Gründung der Genossenschaft: Wir fragten uns, warum auf der Kita noch keine PV-Anlage installiert ist.
Die ihr dann ja auch gegründet habt. Von der Anfangsgeschichte haben wir hier schon berichtet. Was ist seit 2022 passiert? Hattest du eine persönliche Deadline (für die Realisierung des ersten Projektes) vor Augen?
In unseren anfänglichen Planungen haben wir vorgesehen, dass nach den ersten 1-1,5 Jahren ein erstes Projekt realisiert ist. Aber dieses Planungsziel war für uns keine Deadline. Man muss sehen, was man zwischendurch lernt. Viele Amtsvorgänge mussten erstmal erarbeitet werden, deshalb haben sich Planungen immer verschoben. Wir haben uns immer eine Tür offengehalten und gedacht „wenn der nächste Schritt nicht funktioniert, können wir es auch beenden“.
Es hat zwar nicht immer alles direkt funktioniert, aber eure Idee habt ihr immer weiterverfolgt. Habt Ihr Mitstreiter gehabt?
Einwohner*innen aus der Stadt Bad Doberan haben sich ebenfalls auf den Weg gemacht und eine Energiegenossenschaft gegründet. Das war total klasse, weil wir gegenseitig voneinander profitiert haben und nach wie vor profitieren. Gemeinsam haben wir uns beispielsweise über die Satzung ausgetauscht und Verträge formuliert. Mit der dortigen Klimaschutzmanagerin Tina Michel haben wir immer eine super Ansprechpartnerin gehabt. Es war ein bisschen so wie eine Selbsthilfegruppe (lacht).
Es war bestimmt nicht immer einfach, den richtigen Punkt auf der To-do-Liste abzuarbeiten. Wie seid ihr vorgegangen? Wie verschafft ihr euch einen Überblick?
Wohl wahr. Wir machen alles ehrenamtlich und manchmal weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Ein guter Anfang war aber der siebenwöchige Online-Selbstlernkurs „Genossenschaften gründen“. Wir haben uns auch regelmäßig getroffen und mit Anderen den Austausch gesucht. Das Hauptproblem liegt darin, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Beteiligten zu finden und die richtigen Schritte zu gehen – wie so oft. Was wir besser hätten machen können, ist die frühzeitigere Kooperation mit der Verwaltung. Das Bauamt spielt im gesamten Prozess eine super wichtige Rolle. Das haben wir jetzt gelernt und nachjustiert.
To-do-Listen führen wir auf mehreren Ebenen. Wir haben einen Plan. Demnach brauchen wir vier bis fünf Anlagen, damit wir schwarze Zahlen schreiben. Wir wollen und müssen also weitermachen. Außerdem gibt es Gesetze, die Vorgaben für unsere To-do-Listen machen. Wir wollen eine eingetragene Genossenschaft (eG) werden – formal sind wir noch so etwas wie eine GbR – und haften noch privat (Anmerkung: Andreas Dinklage und Energiegenossenschaftsvorstand Daniel Antrack), aber wir verhalten uns wie eine Genossenschaft (Wirtschaftsprüfung, regelmäßige Treffen, etc.). Daneben bestimmt das Tagesgeschäft unsere To-do-Liste, wie z.B. einen neuen Mitgliedsantrag prüfen.
Wie lange braucht die Energiegenossenschaft, um sich eine Meinung zu bilden? Hattet ihr mehrere Objekte zur Auswahl? Wie weit habt ihr verschiedene Möglichkeiten durchgespielt? Habt ihr für eure Entscheidungen Rat gesucht? Wo?
Das kommt ganz drauf an. Kleine Sachen entscheide ich mit Daniel Antrack (Vorstand) direkt, wie beispielsweise die Verwendung eines anderen, größeren Wechselrichters. Neulich hat ein Mitglied die Professionalisierung unserer Außendarstellung vorgeschlagen, damit noch klarer wird, was wir machen und dass wir eine lokale Initiative sind. Diese Professionalisierung soll dann von einer externen Agentur unterstützt und ein Infostand angeschafft werden. Sowas besprechen wir dann auf einer Versammlung, die circa alle zwei Monate, also so fünf bis sechs Mal im Jahr stattfindet.
Die Entscheidung für unser erstes Projekt hat schon lange, also so 1,5 Jahre gedauert. Ein Sportverein aus Greifswald hat beispielsweise vorgeschlagen, dass wir hier unser erstes Projekt umsetzen könnten. Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir gemerkt haben, was uns am wichtigsten ist, nämlich etwas in Neuenkirchen zu realisieren, dass in unserem Alltag wirksam und für alle nützlich ist.
Wir profitieren von dem Wissen der LEKA MV, die das Thema Bürgerenergiegenossenschaften eigentlich nicht in ihrem Portfolio hat, aber immer offen für Fragen ist.
Wird die Energiegenossenschaft ernst- bzw. wahrgenommen? Von der Verwaltung, der Politik, den Medien, den Einwohner*innen?
Wir mussten schon dafür kämpfen ernst und wahrgenommen zu werden.
Wir haben zum Beispiel einen Instagram-Account und eine moderne Website erstellt und eine Sprechstunde organisiert. Die Bürgermeisterin ist als Vertreterin der Gemeinde im Aufsichtsrat. Schade ist, dass die Gemeindevertreter wegen möglicher Befangenheit kein Mitglied werden können. Im Dorf ist das Projekt definitiv angekommen.
Sehr öffentlichkeitswirksam war auch ein Dorfrundgang, um den Kontakt zur Politik herzustellen. Wir sind auch stolz, dass wir als Energiegenossenschaft beim Wettbewerb „machen!2023“ eine Auszeichnung für unsere Ideen erhalten haben. Der NDR hat schon mehrfach von uns berichtet. Ein Highlight war, dass die Bürgerenergie im Landtag Mecklenburg-Vorpommern diskutiert und wir als Beispiel für eine bürgerliche Initiative und die konkrete Umsetzung erwähnt wurden.
In diesem Jahr haben wir uns gefreut, dass wir beim Wettbewerb „Gutes.Klima.Machen“ zu den Preisträgern zählen. Wir wurden mit 15.000 € prämiert und durften unser Projekt bei der Preisverleihung am 30.10.2025 unter Anwesenheit des Klimaschutzministers Dr. Till Backhaus vorstellen.
Ihr seid ziemlich kreativ gewesen. Hat sich das gelohnt? Wie viele Mitglieder habt ihr denn jetzt? Kommen auch noch neue Mitglieder dazu?
Ja, das stimmt, heutzutage muss man kreativ werden, wenn man die Menschen erreichen will. Das hat sich bei uns auch bemerkbar gemacht. Wir haben jetzt knapp 40 Mitglieder und gelegentlich haben wir auch neue Mitgliedsanträge. In den nächsten Monaten wollen wir über 50 kommen, denn das ist die magische Grenze für eine Bürgerenergiegesellschaft (siehe Legaldefinition im § 3 Nr. 15 EEG 2023) und damit verbunden sind bestimmte Rechte und Pflichten.
Besonders stolz seid ihr bestimmt auch darauf, dass im Juli 2025 eure erste Photovoltaikanlage auf der KiTa Krümelkiste in Betrieb genommen bzw. ans Netz angeschlossen wurde. Wie gut schmecken die Früchte eurer Arbeit? Kannst du schon sagen, was sich verändert hat?

Glückliches Selfie auf dem KITA Dach mit Solaranlage
Es ist schon echt ein cooles Gefühl zu sagen „Das ist unser Ding, das gehört uns“. Schmeckt also gut (lacht). Bei mir ist dann auch die Tür „jetzt hör ich auf“ verschwunden. Mit einer Energiegenossenschaft ist es ein bisschen so wie mit Kindern, wenn sie dann da sind, wird man sie nicht mehr los (lacht). Die Verantwortung bleibt also. Verändert hat sich auch die Ernsthaftigkeit der Leute. Es kommen tolle, neue Vorschläge wie z.B. die bereits angesprochene Professionalisierung unserer Außendarstellung. Die Identifikation und die Freude an der Energiegenossenschaft haben aus meiner Sicht eine neue Qualität erreicht.
Das Wir-Gefühl ist also stärker geworden. Würdest du denn sagen, es ist einfacher als Genossenschaft solche Projekte zu realisieren?
Genau. Eine Genossenschaft ist sicherlich nicht das Einfachste, aber dafür ein sehr gemeinschaftliches Projekt. Alle Mitglieder sind Teil des Ganzen und treffen basisdemokratische Entscheidungen auf Augenhöhe mit der Gemeinde zusammen. Ohne die Genossenschaft hätte die Gemeinde, die seit Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt hat, wohl kaum in so ein Projekt investieren können. Wir können vor Ort wirksam werden und das „die-da-oben-Gefühl“ ist weg. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir diesen Weg gegangen sind und die Entscheidung für eine Genossenschaft getroffen haben.
Guter Punkt. Das betrifft ja viele Kommunen, dass sie kein Geld übrighaben, um nachhaltig zu investieren. Kannst du uns verraten, was ihr konkret investiert habt, wann sich euer Invest rechnet und wie genau euer Geschäftsmodell aussieht?
Wir setzen auf Verpachtungen, so dass die Gemeinde sowohl die Investition als auch die Abschreibung nicht finanzieren muss. Der Trick ist also, dass wir als Genossenschaft die Anlage „mit privatem Geld“ finanzieren. Das ist für alle Seiten ein Gewinn. Die Gemeinde betreibt dann die Anlage und ist dafür sehr flexibel, kann also selbst entscheiden, was sie mit dem Strom macht. Die Besonderheit, die ich vielleicht noch erwähnen sollte, ist, dass die Gemeinde selbst auch Genossenschaftsmitglied ist (wie das geht erfahren Sie hier in unserem Blogbeitrag).
Wir haben eine 30 Kilowattpeak Anlage für ca. 35.000 € errichtet, die sich circa nach 10 Jahren amortisiert. Das ist schon okay! Der Strom wird weitgehend selbst verbraucht und der verbleibende, überschüssige Strom wird im Moment in das öffentliche Netz eingespeist.
Zukünftig kann der Eigenstromverbrauch durch weitere Investitionen sinnvoll erhöht werden. Ein Beispiel hierfür ist der Einbau einer Klimaanlage, die gleichzeitig als Heizung genutzt werden kann. Dann gehen erneuerbare Energien mit Klimaanpassungsmaßnahmen Hand in Hand. Eine andere Idee unserer KiTa-Leiterin ist eine Kindersauna. Was am Ende technisch, ökologisch und wirtschaftlich Sinn macht, wollen wir noch genauer prüfen lassen.
Was steht denn jetzt auf eurer To-do-Liste der Genossenschaft? Kannst du uns einen Ausblick geben? Was denkt ihr, könnt ihr noch zum Positiven in eurer Gemeinde verändern?
Ich sage es mal so: Wir wissen jetzt, wie es geht. Daher wollen wir noch mehr kommunale Liegenschaften mit Photovoltaikanlagen ausstatten. Da haben wir schon konkrete Projekte im Hinterkopf. Im Moment diskutieren wir auch darüber, ob wir uns auch für private Projekte öffnen. Außerdem planen wir Infostände auf mehreren Events. Und da ist da ja noch die Gründungsgeschichte mit der eingetragenen Genossenschaft. Wir wollen uns auch mit anderen Ehrenamtlichen verzahnen und weitere Projekte gemeinsam auf die Beine stellen. Wir dachten da zum Beispiel an eine Vortragsreihe. Es wird also nicht langweilig (lacht). Im ländlichen Raum kann man eben nur dann etwas bewegen, wenn man selbst aktiv wird.

Gruppenfoto der Bürgerenergiegenossenschaft vor der KITA
Fazit
Die Energiegenossenschaft in Neuenkirchen zeigt, wie viel ehrenamtliches Engagement und Zusammenhalt im ländlichen Raum bewirken können. Mit Geduld, Austausch und Kreativität ist es gelungen, die erste PV-Anlage auf der KiTa Krümelkiste zu realisieren. Das Projekt stärkt nicht nur das Wir-Gefühl im Dorf, sondern dient auch als Vorbild für andere Gemeinden. Klar ist: Die Genossenschaft will weitermachen und weitere kommunale Gebäude mit erneuerbarer Energie ausstatten.
