Energiekrise in Kommunen meistern
Wie die Stadt Grevesmühlen Maßnahmen zur Eindämmung von Mehrkosten und zur Sicherstellung des öffentlichen Lebens ergreift
Lars Prahler ist seit sechs Jahren parteiloser Bürgermeister der Stadt Grevesmühlen im Landkreis Nordwestmecklenburg. Die Stadt Grevesmühlen ist vielen Kommunen einen großen Schritt voraus. Wie es dazu kam und was Sie sich abschauen können, um Mehrkosten einzudämmen und das öffentliche Leben auch in Krisenzeiten sicherzustellen, das erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.
Was macht Grevesmühlen besonders krisenfest?
Grevesmühlen ist eine normale Stadt mit ca. 10.500 Einwohnenden. Wir haben eigene Stadtwerke, einen starken Zweckverband und ein Wohnungsunternehmen. Aus diesen kommunalen Unternehmen und engagierten Bürger*innen haben wir bereits 2003 den Verein „Stadt ohne Watt“ gegründet. Seitdem sind wir in den Bereichen Energiewende und Klimaschutz sehr aktiv, haben viele Investitionen getätigt. Und von diesen Aktivitäten profitiert die gesamte Stadt in Krisenzeiten besonders.
Wie ist die Stimmung bei Ihrer Bevölkerung und Ihren Unternehmen in Grevesmühlen in Zeiten der Energiekrise?
Ich weiß nicht, was am heimischen Frühstückstisch erzählt wird, aber die grundlegende Stimmung ist überall gleich: Sprit ist teuer und die Inflation steigt. Dennoch: Unsere Kommunalpolitik und Verwaltung macht unsere Unternehmen und Privathaushalte darauf aufmerksam, was wir schon geschafft haben (z.B. mit Presseartikeln). Dadurch sind unsere Leute jetzt stolz darauf, dass sie die Stadtwerke und eine Biogasanlage vor Ort haben (50 % sind an Fernwärme angeschlossen). Meckern ist gut, um Dampf abzulassen, aber die Leute und Unternehmer haben verstanden, dass es weiterhin lohnt etwas zu unternehmen, gerade in Zeiten wie diesen.
Mit welchen kommunalen Mehrkosten aufgrund der gestiegenen Energiepreise rechnen Sie?
Das ist schwierig zu beantworten, weil wir leider nur mit groben Annahmen rechnen können. Das liegt daran, dass die gesetzlichen Grundlagen für eine Verwendung von Verbrauchsdaten der Einwohner*innen und Unternehmen bisher fehlen. Diese bräuchten wir aber, um möglichst realistische Ergebnisse zu erhalten.
Wir haben eine Kostensteigerung für Erdgas von 100 %, 75 % Mehrkosten für Strom, bei Öl 50 % und bei unserer Fernwärme mit 25 % angenommen. Der Fernwärmepreis ist besonders günstig, weil wir 70 % der Energieeinspeisung durch zwei Biosgasanlagen erzeugen und Bakterien weiterhin günstig sind.
In absoluten Zahlen haben wir die Mehrkosten über alle Objekte der Kommune hochgerechnet und da ergeben sich in Summe im Jahr 2021 780.000 € Kosten für Wärme und Strom. Wenn wir keine Energiesparmaßnahmen umgesetzt hätten und weiterhin umsetzen, dann würden wir Mehrkosten von 280.000 € haben. Wenn alle Objekte an der Erdgas-Nadel hingen, dann sogar 1 Million €.
Sie haben am 17.10.2022 einen Stadtvertreter-Beschluss gefällt, der den Titel trägt: „Energiekrise in Grevesmühlen meistern; Maßnahmen zur Eindämmung von Mehrkosten und zur Sicherstellung des öffentlichen Lebens“. Was haben Sie da beschlossen?
Die Beschlussfassung wurde von einem schriftlichen Konzept begleitet, welches auch ein Ergebnisbericht unserer Berechnungen, die ich Ihnen eben geschildert habe, ist. Einige Inhalte des Beschlusses ergeben sich auch aus der Bundesverordnung zum Energiesparen.
Außerdem haben wir uns überlegt, was wir als Mehrwert den Bürger*innen und den Unternehmer*innen zurückgeben können, als Belohnung sozusagen, weil wir als Stadt schon in den letzten 15 Jahren „den Gürtel enger geschnallt“ haben.
Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen: Wir verzichten für zwei Jahre auf das Umlegen von Mehrkosten in der Nutzung von öffentlichen Einrichtungen. Das bedeutet: Die Turnhalle wird natürlich teurer werden, weil das Beheizen der Turnhalle auch bei uns Kostensteigerungen mit sich bringt, aber wir als Gemeinde werden diese Kosten tragen und unsere Vereine nicht stärker belasten. Für gewerbetreibende Gastronom*innen erlassen wir die Sondernutzungsgebühr für die Außenbestuhlung.
Auch als Kommune werden wir weitere Maßnahmen ergreifen. Beispielsweise verändern wir die Öffnungszeiten in den besonderen Heizperioden und reduzieren unsere Raumtemperaturen. Die Hausmeister helfen uns, zusätzlich Potentiale zu erkennen und zu heben.
Wie kam die Beschlussvorlage zustande? Wer hat die Maßnahmen vorgeschlagen?
Maßgeblicher Treiber des Ganzen ist unser Verein „Stadt ohne Watt“. Darin sind alle wichtigen Akteure Vereinsmitglieder und wir inspirieren uns gegenseitig. Das hat dazu geführt, dass unsere Stadtvertretung den Klimaschutz und die Energiewende als Leitbild für unsere kommunale Entwicklung gesetzt haben. Unser gesamtes Verwaltungshandeln ist auf dieses Leitbild auch ausgerichtet. Das heißt, wir müssen bei allen Beschlussfassungen nicht nur finanzielle, sondern auch die Auswirkungen auf den Klimaschutz beurteilen und abwägen. Deshalb war es für uns selbstverständlich, dass wir auf die Energiekrise reagieren müssen.
Die Maßnahmen wurden gemeinsam mit der Vielzahl an Objektverantwortlichen entwickelt und dadurch kriegt man ganz schnell viele und wesentliche Effekte hin. Wir haben also eine Art Task Force gegründet, bestehend aus vier Objektverantwortlichen aus dem Bauamt, Vertreter*innen vom Bauhof und den Bürgermeister*innen der umliegenden Gemeinden. Seit Mai haben wir uns drei Monate lang alle zwei Wochen getroffen und unsere Ergebnisse ausgetauscht. Auf dieser Grundlage der gemeinsamen Ideenfindung und der Datenanalyse konnten wir dann im Oktober den Beschluss fassen.
Wo stehen Sie mit der Umsetzung nach nur einem Monat?
Wir haben ein gebrauchtes Notstromaggregat für die Wärmeinsel gekauft, LED-Lampen für unsere Regionalschule angeschafft und unsere Hausmeister losgeschickt, die nötigen Heizungseinstellungen vorzunehmen. Jetzt geht es in den nächsten Wochen auch darum, den Inhalt des Beschlusses auch wirklich bekannt zu machen, d.h. wir organisieren Unternehmertreffen, sprechen mit der Presse und referieren auch in Schulungen wie die der LEKA MV. Es bleibt also noch viel zu tun!
Was schätzen Sie denn, wo wir in 5 Jahren stehen?
Wenn wir in Mecklenburg-Vorpommern in der Lage sind, die Krise und Kostensteigerungen als Chance zu begreifen, können wir das kommunale Allgemeinwohl erheblich fördern. Damit meine ich, es geht darum unsere Standortvorteile gegenüber anderen, die vor dem gleichen Problem stehen, zu nutzen – und das bedeutet nicht, dass man sechs Cent für die Straßenbeleuchtung ausgegeben hat, sondern dass man Windräder oder Photovoltaik in seinem Gemeindegebiet errichten und somit gewerbliche Ansiedlungen und neue Strukturen schaffen kann. So können wir im Vergleich zu anderen Regionen und zu früher besser dastehen!
Dieses Interview wurde im Rahmen der Online-Schulung „Energiesparen in Kommunen“ am 15.11.2022 von unserer ehemaligen Mitarbeiterin Lea Baumbach mit Lars Prahler geführt.
Text: Carla Fee Weisse
Fazit
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