Wie geht es weiter mit dem Beteiligungsprozess beim Klimaschutzgesetz MV

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Wie geht es weiter mit der Bürger*innenbeteiligung im Landesklimaschutzgesetz MV?

Im Juni 2022 lud die Landesregierung interessierte Bürgerinnen und Bürger ein, sich in einer ersten Auftaktveranstaltung inhaltlich zum neuen Klimaschutzgesetz in MV einzubringen. Etwa 120 Engagierte kamen nach Neustrelitz ins Landeszentrum für Erneuerbare Energien. Sie diskutierten einen Sonnabend lang in Arbeitsgruppen, brachten ihre Anliegen, Bedenken und Prioritäten und ihre Expertise ein und wechselten dann die Perspektiven, um Gegenpositionen besser zu verstehen. Organisiert und betreut wird der Beteiligungsprozess durch die Agentur für Nachhaltige Entwicklung MV (ANE). Die LEKA MV sprach dazu mit Prof. Dr. Peter Adolphi, Geschäftsführer der ANE.

Wie gestaltet man einen solchen Bürger*innenbeteiligungsprozess?

Es sind natürlich ganz, ganz viele Aspekte, die bei dieser Beteiligung zum Klimaschutzgesetz in MV zu berücksichtigen sind. Die Veranstaltung in Neustrelitz war ein sehr schöner Auftakt, der aber auch gleichzeitig die Herausforderungen ganz deutlich machte. Zwei zentrale Herausforderungen gleich an den Anfang gestellt, die in den nächsten eineinhalb Jahren Berücksichtigung finden müssen: Das ist zum Ersten die Taktung des zeitlichen Ablaufes. Zum Zweiten muss ein breites Meinungsbild der Bevölkerung sichtbar werden.

Wo liegen die Herausforderungen bei der Taktung des zeitlichen Ablaufs?

Es gibt den politischen Wunsch, dieses Klimaschutzgesetz zügig auf den Weg zu bringen und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger mit einer hohen Gewichtung zu versehen. Das ist erst einmal wunderbar. Gleichzeitig führt das dazu, dass die Abläufe nicht leicht zu koordinieren sind.

Das meint, im Ministerium muss ein Referentenentwurf entstehen. Dieser Entwurf stützt sich auf die gesetzlich verankerten Beteiligungsprozesse, die ohnehin ablaufen müssen. Das heißt, es muss die fachliche Öffentlichkeit beteiligt werden. Dazu gibt es gesetzlich vorgeschriebene Formate. Zu denen gehört zum Beispiel die sogenannte Sektorenstudie. Diese betrachtet unter anderem die relevanten Sektoren Wasser, Energie, Landwirtschaft, Wald, Moore, Verkehr.

Die Sektorenstudie gibt den Fachreferent*innen eine fachliche Empfehlung, in welchen Sektoren welche Ziele realistisch sind. Das ist eine sehr fachlich orientierte Arbeit und diese Studie schafft die Grundlage für die Ziele im Klimaschutzgesetz, durch welche die Bürgerinnen und Bürger dann auch betroffen sind. Man reibt sich demzufolge im nachfolgenden Beteiligungsprozess an diesen Zielen.

In diesem Prozess gibt es zwei Positionen zu berücksichtigen. Man kann sagen: Diese Ziele sind viel zu niedrig angesetzt, weil wir so das 1,5-Grad-Ziel auf keinen Fall erreichen. Und man kann aus der Sicht der Betroffenen vor Ort sagen: Diese Ziele greifen zu tief in mein Leben ein. Das ertrage ich nicht.
Ohne hier schon zu differenzieren, ob das ein persönliches Empfinden ist oder ob das eine tatsächliche, sozial nicht zu bewältigende Herausforderung ist. Das wäre noch mal eine weitere Frage.

Beteiligung vor und nach der Sektorenstudie?

Aus dem geschilderten gesetzlich vorgegebenen Ablauf erwächst die Pflicht: Bevor der Referentenentwurf und die Sektorenstudie nicht vorliegen, brauchen wir gar keinen Bürgerinnenbeteiligungsprozess zu machen, denn es gibt noch gar keine konkreten Ziele. Die Sektorenstudie ist jetzt in MV ausgeschrieben worden, die ersten Ergebnisse könnten also frühestens am Ende des Jahres 2022 vorliegen. Das würde bedeuten, dass wir mit dem Beteiligungsprozess erst im nächsten Frühjahr, also 2023, beginnen.

Es gibt aber einen zweiten Ansatz für den richtigen Zeitpunkt für eine Beteiligung. Dieser besagt: Wenn eine breite gesellschaftliche Identifikation mit den Zielen eines Klimaschutzgesetzes für MV erwünscht ist, dann macht es Sinn, die Akteure und Meinungen aus der Gesellschaft bereits jetzt aufzunehmen. Sodass diese Ideen bereits in der Sektorenstudie berücksichtigt werden können. Denn es gibt die fachlichen Perspektiven für Ziele der Sektorenstudie, aber natürlich auch andere Blickwinkel wie die Akzeptanz, die Identifikation oder die soziale Verträglichkeit von Zielen, die ihre Wichtigkeit beeinflussen können. All das spricht für eine sehr frühzeitige Beteiligung.

Frühzeitige Bürger*innenbeteiligung

Hier findet die Diskussion auf abstrakteren Ebenen statt, denn es gibt ja noch keine konkreten Ziele und Zahlen zu diskutieren. Zum Beispiel, ob 2,0 Prozent der Landesfläche oder 2,2 Prozent der Landesfläche für die erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen sollen. Es geht darum, Stimmungen zu erfragen und gesellschaftliche und persönliche Grenzen zu identifizieren. Also, was muss gesellschaftlich passieren, damit ich als Betroffener oder Betroffene bereit bin, zu ertragen, meine Bereitschaftsgrenze gegebenenfalls zu verschieben.

Wie wollen Sie es schaffen, Meinungsbilder breit einzuholen und zu diskutieren?

Beide Prozesse vor und nach dem Referentenentwurf zählen. Und ich habe den Eindruck, dass die Landesregierung sich bewusst ist, dass beide Prozesse laufen müssen.

In beiden Beteiligungsetappen müssen, und das ist positiv zu bewerten, unterschiedliche Sprachen und Formate gefunden werden, um eine spätere Identifikation der Menschen zu erreichen. Denn es gibt die einen, denen alles zu langsam und nicht weitreichend genug ist. Und es gibt einen großen Teil der Bevölkerung, der schon ohne es genau zu wissen, aus dem Bauch heraus sagt, es ist alles viel zu schnell und viel zu hart. Es ist also eine große Herausforderung, eine Bürger*innenbeteiligung zu entwerfen, welche beiden Gruppen gerecht wird.

Aus unserer Erfahrung als Agentur für nachhaltige Entwicklung kommen zu Veranstaltungen mit der Überschrift „Bürger*innenbeteiligung zum Klimaschutzgesetz“ erst einmal nur die, die das Gesetz schärfen wollen. Diejenigen, die dagegen sind, kommen gar nicht. Gründe dafür sind zum Beispiel der Glaube, dort nicht willkommen zu sein und die Situation als sehr stressintensiv zu beurteilen. Diese Menschen gehen eher auf die Protestseite. Und für diese sind z. B. die Ankündigung der Bundespolitik, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, eher eine Motivation, jetzt erst recht dagegen zu sein. Das ist psychologisch auch durchaus nachvollziehbar.

Der Fahrplan für die Beteiligung zum Klimaschutzgesetz in MV

Die Auftaktveranstaltung zur Bürger*innenbeteiligung am Klimaschutzgesetz im Landeszentrum für Erneuerbare Energien in Neustrelitz hat versucht, das zu reflektieren. So richtet sich das Einladungsmanagement für diesen Tag erst einmal an gesellschaftliche Gruppen, die in dem Thema engagiert sind. Vereine, Verbände und Einzelpersonen wurden gezielt angesprochen. Trotzdem war die Veranstaltung offen für alle. Aber einer Einladung an einem Samstag zu folgen, mit vielen Stunden voll fachlich orientierter Diskussionen, das motiviert die Desinteressierten nicht zu einer Teilnahme.

Empathie anstoßen

Wir haben in Neustrelitz versucht, erste Stimmungen durch ein die Empathie förderndes Veranstaltungskonzept, das Persona Konzept, aufzugreifen.

Nach dem Vormittag mit Vorträgen und fachlichen Informationen ging es in einer Art Werkstatt-Umgebung in die Gruppenarbeit. Dabei wurden zufällige Gruppen gebildet, die sich jeweils in eine typische Person hinein zu versetzen versuchten, die in Mecklenburg-Vorpommern leben könnte. Diese gehören zum Beispiel einer durch ein Klimaschutzgesetz betroffenen Berufsgruppe oder einer anderen sozialen Gruppe an.

Mit dieser Identität nahmen die Teilnehmenden einzeln an mehreren Diskussionen an unterschiedlichen Stationen teil. Dort vertraten sie nicht ihre persönliche Meinung, sondern die Meinung ihrer Persona zu verschiedenen Themen der Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Energie, Strom, Wasser, Moore und Wald.

Natürlich hat diese Methode Risiken, denn das Hineinversetzen ist nicht identisch mit dem tatsächlichen Sein dieses Menschen. Dazu benötigt es Vorstellungskraft. Und natürlich fällt es einem Verwaltungsangestellten mit gutem, gesichertem Einkommen und geregeltem Überstundenausgleich schwer, sich in die Nöte hineinzuversetzen, die jemand hat, für den 40 Euro im Jahr Budgeterhöhung für Strom und Wärme eine relevante Größe ist. Dieses Hineinversetzen ist nicht einfach. Aber es ist ein wichtiger Punkt, diesen Schritt erst einmal zu machen.

Wie bewerten Sie den Auftakt in Neustrelitz?

Der Tag in Neustrelitz war ein Erfolg. Das steht gar nicht infrage. Auch weil er die Notwendigkeit des Dialogs offenlegte.
Um das an einem zitierten Satz zu verdeutlichen: Wenn am Abschluss der Veranstaltung jemand zusammenfassend sagt, „Es hätte Spaß gemacht, sich in eine andere Person zu versetzen“, dann ist das für jemanden, der unter finanzieller Not oder soziale Not leidet, schon der falsche Ausdruck. Es kann nicht Spaß machen, sich hineinzuversetzen. Das ist also noch keine Empathie.
Und das ist auch keine Boshaftigkeit der Person, die das so benennt. Aber es drückt aus, dass die Persona-Methode nur eine Stellvertreterfunktion haben kann.

Es ist eine Schauspielmethode. Sie ist gut – aber sie ist nicht ausreichend.

Für die weiteren Prozesse der Beteiligung am Klimaschutzgesetz erkennen wir als ANE dies und versuchen eine große Meinungsvielfalt durch verschiedene Veranstaltungsformate herzustellen. Geplant sind zwei weitere Formate, welche auch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ansprechen. Dabei sollen alle Veranstaltungen immer für alle offen sein. Die ANE hat ihr Konzept dazu bei der Landesregierung bereits eingereicht.

Die Regionalkonferenzen – Sektoren im Widerspruch

Zum einen wird es vier Regionalkonferenzen geben. Sie sollen die Regionalität berücksichtigen und im ganzen Land verteilt kurze Wege zur Konferenz für die interessierten Menschen ermöglichen. Wir werden jeweils nur zwei bis drei Schwerpunkte in den Sektoren setzen. Dabei ist das Konzept, in den Konferenzen den Versuch zu starten, einander widersprechende Sektoren zueinander zu bringen.
Aus der Nachhaltigkeitsdiskussion kenne ich den Konflikt, dass die Beteiligten jeweils ihr Lieblingsziel aus den 17 Nachhaltigkeitszielen voranbringen wollen. Die Vermutung ist, das würde dann am Ende schon alles zusammenpassen. Tut es aber leider nicht. Es gibt eben unvereinbare Ziele.

Dieses Dilemma kann nur durch gesellschaftliche Kommunikation hin zu einem möglichst wenig Schaden verursachenden Kompromiss geführt werden. Das Prinzip „Schade nicht“ hat dabei höchste Priorität und gilt auch für die Diskussion über die Sektoren der Energiewende. Die Aufgabe ist also, diese Kompromisse zu finden, indem über widersprechende Sektoren diskutiert wird.

Relevante Veranstaltungsthemen für eine breite Beteiligung

Zum anderen wollen wir in Zusammenarbeit mit RENN-Nord Anfang 2023 weiter Veranstaltungen im ganzen Bundesland umsetzen, die allgemeiner sind und nicht direkt das Thema Klimaschutzgesetz im Namen tragen. Das ist eine Kinoveranstaltung und das andere sind Diskussionsveranstaltungen. Dabei geht es uns darum, Menschen über ihre Fokusthemen aus ihren Lebensbereichen zusammenzubringen und diese zu diskutieren. Ziel ist es, ein Bewusstsein zu wecken, dass heute in allen Lebensbereichen Energiewende und Klimaschutz grundlegend mitgedacht werden müssen. Zum Beispiel lässt sich keine Kultureinrichtung entwickeln, wenn nicht vorab geklärt ist, wie sie im Winter beheizt werden kann.
Wir wollen so auch Menschen erreichen, die in eine Klimaschutzgesetzveranstaltung gar nicht kommen würden. Und wir hoffen, dass diese Menschen die Diskussionsimpulse in weiteren Dialogen mit Freunden und Bekannten weitertragen.

Ergebnisse und Feedbackschleife

Zum Schluss werden die Ergebnisse aller Veranstaltungen zusammengetragen und parallel zum Entstehen der Sektorenstudie darin Berücksichtigung finden. Für die erste Veranstaltung liegen die ersten Meinungsausschnitte bereits vor und können auf unserer Webseite eingesehen werden.
Sobald der daraus entstehende Referentenentwurf für das Klimaschutzgesetz MV fertig ist, gibt es abschließend eine Feedbackschleife zurück an die Beteiligten. Diese Rückkontrolle ist ein ganz wichtiger Punkt, denn so können die, die ihre Bedenken geäußert haben, auch prüfen, ob und wie diese im Gesetzesentwurf gespiegelt werden.
Natürlich muss dabei auch ein Übersetzungsprozess von der juristischen Sprache in die Normalsprache der Bürger erfolgen. Denn oft haben wir als Bürgerinnen und Bürger viel zu konkrete Erwartungen an einen Gesetzestext, den dieser gar nicht ausdrücken kann.

Das Klimaschutzgesetz gibt den Rahmen vor, Maßnahmen sind dort nicht im Einzelnen aufgeführt. Aber es werden die Anforderungen für die Maßnahmen definiert. Wenn uns der zweistufige Prozess mit einer Bürger*innenbeteiligung, vor und nach dem Referentenentwurf beim Klimaschutzgesetz in MV gelingt, dann kann dies beispielgebend sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte unsere ehemalige Mitarbeiterin Iris Wessolowski im Jahr 2022

Fazit

Im Juni 2022 startete die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern einen umfassenden Bürgerbeteiligungsprozess, um die Öffentlichkeit in die Entwicklung des neuen Klimaschutzgesetzes einzubeziehen, mit einer Auftaktveranstaltung in Neustrelitz, an der rund 120 Interessierte teilnahmen. Dieser Prozess wird von der Agentur für Nachhaltige Entwicklung MV (ANE) geleitet und ist darauf ausgelegt, die Meinungen und Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger frühzeitig zu integrieren, um ein breites gesellschaftliches Meinungsbild zu erhalten. Der Dialog zwischen den Teilnehmenden ist essenziell, da er hilft, Verständnis zu schaffen und unterschiedliche Perspektiven einzubringen, was bei der Gestaltung eines erfolgreichen Klimaschutzgesetzes von zentraler Bedeutung ist.

 

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