Auf einen Schnack mit… Dr. Jonas Wussow, Teil 1

„Wenn wir die Energiewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, wird sie Erfolg haben“ 

Auf einen Schnack mit Dr. Jonas Wussow, Bürgerdialog Stromnetz – Teil 1 

Der Bürgerdialog Stromnetz ist eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Initiative, die Bürger/innen über Energiewende und Stromnetzausbau informiert und Räume für offenen Austausch schafft. Die LEKA MV hat mit Dr. Jonas Wussow, Regionaler Ansprechpartner des Bürgerdialog Stromnetz für Mecklenburg-Vorpommern, über den Netzausbau in Deutschland gesprochen. Im ersten Teil unseres Interviews stellt er die Ausbaupläne für Deutschland vor und geht auf Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger ein. Im zweiten Teil unserer Reihe geht es um die aktuelle Ausbausituation der Netze sowie um hohe Netzentgelte in Mecklenburg-Vorpommern. 

Bis 2045 will Deutschland klimaneutral werden. Aber um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir künftig beispielsweise auch elektrisch Auto fahren und heizen. Wo soll der ganze grüne Strom herkommen, Herr Dr. Wussow?

 Dr. Jonas Wussow: Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Die Netzbetreiber gehen davon aus, dass Deutschland im Jahr 2045 mindestens 1.079 Terawattstunden Strom verbrauchen wird – mehr als doppelt so viel wie 2021.[1] Die Bundesregierung hat im Erneuerbare-Energien- und im Windenergie-auf-See-Gesetz deshalb sehr ambitionierte Ausbauziele festgelegt. 2040 soll die installierte Leistung aller Windkraftanlagen beispielsweise 160 Gigawatt betragen – Im ersten Halbjahr 2023 lagen wir hingegen bei etwa 59 Gigawatt.[2]

Kann der Ausbau denn wie geplant gelingen?

 Dr. Jonas Wussow: Ja, wenn wir die Energiewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, wird sie erfolgreich sein. Die Bundesregierung hat ja im vergangenen Jahr zahlreiche Maßnahmen beschlossen, um den Ausbau zu beschleunigen – etwa das Osterpaket. Künftig steht beispielsweise mehr Fläche für Windenergie zur Verfügung und die Planungsverfahren können schneller ablaufen.[3] Hier in Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung mit dem Planungserlass Wind-an-Land ebenfalls die Genehmigungsverfahren gestrafft.[4]

Aber mit dem Ausbau der Erneuerbaren ist es ja nicht getan …

 Dr. Jonas Wussow: Das stimmt. Der grüne Strom muss auch zu den VerbraucherInnen gelangen. Deshalb müssen wir parallel auch unsere Stromnetze aus- und umbauen.

Wie hängen der Ausbau der regenerativen Energien und der Stromnetzausbau genau zusammen?

Dr. Jonas Wussow: Kurz gesagt: Eine Energieversorgung, die auf erneuerbaren Energieträgern beruht, stellt ganz andere Anforderungen an das Stromnetz als fossile Energieträger. Bisher befanden sich wenige große und zentrale Kraftwerke dort, wo es viele große Stromverbraucher gibt – also vor allem in den stark industrialisierten Regionen in West- und Süddeutschland.

Und in Zukunft?

 Dr. Jonas Wussow: Künftig werden viele kleine Anlagen Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen – unser Energiesystem wird also dezentraler. Und diese Anlagen werden sich häufig nicht in den verbrauchsstarken Regionen befinden, denn die können ihren Strombedarf meist nicht aus den Erneuerbaren vor Ort decken. Konkret heißt das beispielsweise, dass wir Strom aus den windreichen Regionen Nord- und Ostdeutschlands nach Süd- und Westdeutschland transportieren müssen. Deswegen errichten die Stromnetzbetreiber in vielen Regionen Deutschlands gerade neue Leitungen oder erweitern bestehende.

Ist der Stromnetzausbau denn auf den Ausbau der erneuerbaren Energien abgestimmt?

 Dr. Jonas Wussow: Ja – es ist ganz wichtig, dass die beiden Prozesse miteinander verzahnt sind. Ein zentrales Dokument für den Stromnetzausbau ist der sogenannte Netzentwicklungsplan, kurz NEP, den die Übertragungsnetzbetreiber alle zwei Jahre erstellen und der Bundesnetzagentur zur Bestätigung vorlegen. Der NEP untersucht, wie sich das Stromnetz entwickeln muss, damit es zur prognostizierten Erzeugung und zum prognostizierten Verbrauch passt. Den aktuellen zweiten Entwurf des NEP 2037/2045 haben die Netzbetreiber Mitte Juni 2023 veröffentlicht – und er enthält eine echte Neuheit.

Welche meinen Sie?

 Dr. Jonas Wussow: Der aktuelle NEP entwickelt erstmals ein sogenanntes Klimaneutralitätsnetz. Das ist das Stromnetz, das auf das klimaneutrale Deutschland des Jahres 2045 ausgelegt ist: Es transportiert den Strom überregional zu den Verbraucher/innen im ganzen Land und ist darauf eingestellt, dass die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gewissen Schwankungen unterliegt. Außerdem ist das Klimaneutralitätsnetz so geplant, dass es die großen benötigten Strommengen auch transportieren kann. Dabei integriert es beispielsweise auch die großen Elektrolyseure, die wir in Zukunft brauchen werden, um Wasserstoff für die Industrie und andere Bedarfe zu produzieren.

Welche konkreten Schlüsse zieht der NEP denn?

 Dr. Jonas Wussow: Der NEP beschreibt bis auf die Ebene einzelner Leitungsprojekte im Höchstspannungsbereich, wie sich das Netz entwickeln muss, um mit den prognostizierten Entwicklungen mitzuhalten. Im Prinzip bedeutet das, dass im ganzen Land neue Stromleitungen entstehen müssen. Der aktuelle zweite Entwurf des NEP 2037/2045 identifiziert Netzverstärkungs- und -ausbaubedarfsmaßnahmen an Land mit einer Trassenlänge von rund 12.413 km [5]. Diese neuen Leitungen sind notwendig, weil das Netz in Zukunft deutlich mehr Strom transportieren muss – denn es entstehen viele neue Windkraftanlagen an Land (vor allem in Nord- und Ostdeutschland) und auf See, außerdem tauscht Deutschland immer mehr Energie mit dem Ausland aus.

Wo können sich Interessierte über die Planungen in ihrer Region informieren? Haben Sie einen Tipp?

Dr. Jonas Wussow: Ja, auf unserer Website können Bürger/innen durch eine Postleitzahlsuche unter www.buergerdialog-stromnetz.de/nachrichten direkt herausfinden, was in Bezug auf den Netzausbau gerade in ihrer Region passiert. Auf der Website der Bundesnetzagentur unter www.netzausbau.de gibt es auch viele Informationen zum Stromnetzausbau.

Wie können sich die Bürger/innen denn in den Planungsprozess einbringen?

 Dr. Jonas Wussow: Grundsätzlich können sich die Bürger/innen in fast jeden Planungsschritt einbringen: Schon ganz am Anfang, wenn die Netzbetreiber den Szenariorahmen und den NEP erstellen, gibt es mehrere Konsultationen, an denen sich die Öffentlichkeit beteiligen kann. Wichtig zu verstehen ist aber, dass es sich bei den gelisteten Vorhaben im NEP zunächst einmal um Vorschläge handelt. Letztendlich legt der Gesetzgeber später im sogenannten Bundesbedarfsplan fest, welche Projekte die Netzbetreiber realisieren sollen. Somit besteht eine gesetzliche Grundlage für die Vorhaben.

Können sich die Bürger/innen später auch noch beteiligen?

 Dr. Jonas Wussow: Ja, auch in den Genehmigungsschritten der einzelnen Vorhaben wie beispielsweise der Bundesfachplanung können alle Interessierten Hinweise einbringen. Dieser Verfahrensschritt bestimmt den groben Trassenverlauf der zukünftigen Leitung, indem ein ein Kilometer breiter Korridor festgelegt wird. Danach können alle, deren Belange eine konkrete Planung berührt, Einwendungen im Planfeststellungsverfahren eines Vorhabens formulieren.

Die vielen Beteiligungsmöglichkeiten mögen sinnvoll sein. Aber verzögern sie den Netzausbau nicht enorm?

 Dr. Jonas Wussow: Es mag sein, dass es ohne die Beteiligung schneller ginge. Aber öffentliche Konsultationen sind wichtig. Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich die Bürger/innen an so vielen Stellen in den Prozess einbringen können. Die Energiewende – und damit auch der Stromnetzausbau – ist schließlich eine zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir werden sie nur bewältigen, wenn wir alle Stimmen hören und jeder die Gelegenheit hat, sich einzubringen.

Zu bedenken geben möchte ich noch etwas: Die Ortskenntnisse der Menschen vor Ort sind eine enorm wichtige Ressource, um besser planen zu können. Deshalb stehen die Netzbetreiber oft auch im engen Austausch mit Kommunen und Eigentümer/innen.

Und um den Netzausbau zu beschleunigen, gibt es aber auch weitere Ansätze.

Welche sind das?

 Dr. Jonas Wussow: Die Bundesnetzagentur bestimmt für neue Ausbauvorhaben seit Kurzem beispielsweise sogenannte Präferenzräume: Also fünf bis zehn Kilometer breite Gebietsstreifen, innerhalb derer sich dann der genaue Trassenverlauf bestimmen lässt. Mit technologischer Unterstützung, zum Beispiel durch künstliche Intelligenz, können die Netzbetreiber innerhalb weniger Wochen oder Monate erste Trassenräume identifizieren – das hat in der Vergangenheit teils Jahre gedauert[6].

 

Im zweiten Teil unseres Interviews mit Dr. Jonas Wussow geht es um Netzengpässe und Netzentgelte in Mecklenburg-Vorpommern – und welche Rolle dabei der Netzausbau spielt. Den zweiten Teil finden Sie hier

 

Ihr Kontakt zum Bürgerdialog Stromnetz: 
Dr. Jonas Wussow
Regionaler Ansprechpartner für Mecklenburg-Vorpommern
Bürgerdialog Stromnetz
Tel.: 0385 592-4146
E-Mail: mv@buergerdialog-stromnetz.de
www.buergerdialog-stromnetz.de/regionale-ansprechpartner/sachsen-anhalt-und-mecklenburg-vorpommern 

 

 
 
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