Von Biogas und Nahwärme auf dem Land – die Bürgerenergie Zemmin-Tutow
Der Unterschied von Nahwärme- zu Fernwärmenetzen liegt nur in der begrenzten Teilnehmer*innenzahl in einem räumlich begrenzteren Netz. So ist es auch in Zemmin-Tutow. Seit 2019 leitet die sechs Kilometer lange Rohrleitung den heißen Dampf von der nahen Biogasanlage mit angeschlossenen Blockheizkraftwerken in die beiden Orte. Dort versorgt sie öffentliche Gebäude und etwa fünfzig Privathaushalte mit Wärme. Michael Kühling, Geschäftsführer der Bürgerenergie Zemmin-Tutow GmbH, berichtet über Lernkurven bei der Planung und bei der Errichtung des Netzes, über die Wichtigkeit von Kommunikation sowie über Aufwand und Nutzen für Bürgerinnen und Bürger und die Kommune.
Herr Kühling, wie kam es zur Idee, ein Nahwärmenetz für die beiden Gemeinden Tutow und Zemmin zu errichten?
2012 begann die Idee bei mir zu gewachsen. Da waren wir auf dem Kühling Hof bereits sechs Jahre mit den erneuerbaren Energien in Produktion. Auch Holger Schulz, stellvertretender Bürgermeister in Tutow, war bereits in die technische Betreuung der Biogas-Anlage involviert. Rückblickend wäre es auch utopisch gewesen, sowohl die Bioenergieerzeugung als auch das Nahwärmenetz zeitgleich auf ein gutes Niveau zu entwickeln. Denn wenn man in die Erzeugung von erneuerbaren Energien einsteigt, heißt es erst einmal Lernen ohne Ende.
Auf die erste Idee folgte die Recherche
Ich habe mehrere Firmen angesprochen. Zum Beispiel die Landgesellschaft, eben alle, die in der Planung von Nahwärmenetzen bereits Kenntnisse hatten. Aus allen Stellen kam die Rückmeldung, aufgrund der Entfernung zu und zwischen den Orten ist so ein Projekt finanziell und wirtschaftlich nachhaltig nicht durchführbar. Unsere Nahwärmeleitung ist heute, Stand 2022, etwa sechs Kilometer lang. Drei Kilometer Hauptleitung und nochmal drei Kilometer an Abzweigen zu den abnehmenden Häusern.
Die Entfernungen sind auch das Hauptproblem in Gemeinden auf dem Land. Die Bebauung ist nicht so schön kompakt, wie in der Stadt, wo eine Leitung gleich vierzig Wohnungen anschließt. In ländlichen Kommune betragen die Hausabstände 50, 80 sogar 100 Meter. So lang müssen auch die Stränge des dörflichen Nahwärmenetzes sein und dann auch bis zum Hausanschluss unter Dampf gehalten werden. Das Problem war in unserem Falle aber gar nicht die Verlegung der Rohrleitung in den Ortteilen, sondern der Weg von der Biogasanlage hier auf dem Feld dorthin. Aufgrund der damaligen Preis- und Fördersituation ergab die Wirtschaftlichkeitsberechnung nur rote Zahlen. Es war nicht möglich, die anfallende Wärme zu nutzen.
Was hat sich geändert, dass das Nahwärmenetz dann doch eine Umsetzung fand?
Ende 2016 konnte ich auf einer Landeskonferenz für Erneuerbare Energien ein Ingenieurbüro aus Osnabrück kennenlernen, das bereits Erfahrung mit der Planung von Nahwärmenetzen basierend auf erneuerbaren Ressourcen und von mehr als zehn Kilometern Länge hatte. Mit diesem Partner haben wir den Planungsprozess und die Errichtung dann später auch umgesetzt.
Zudem hatte sich die Fördermittelsituation verändert. Ohne Förderung wäre unsere Nahwärme damals gegenüber den fossilen Brennstoffpreisen, wie Öl, noch nicht konkurrenzfähig gewesen. Heute sieht das natürlich anders aus.
Und in Gesprächen mit den anliegenden Gemeinden, vor allem mit der Gemeinde Tutow, konnten wir eine Win-Win-Situation herstellen. Tutow als Ort mit militärischer Vergangenheit verfügte bereits über ein Nahwärmenetz. Das war allerdings veraltet, stark sanierungsbedürftig und die Wärme wurde noch mit Öl erzeugt. Gleichzeitig verfügte Tutow über genug öffentliche Gebäude, um die Anschlussquote von 500 KW für die Förderung zu erreichen und das Wärmenetz rentabel zu gestalten.
Die Vorteile einer Nahwärme mit erneuerbaren Energien überwog die Nachteile auch im Dialog mit dem Bauausschuss der Gemeinde und so konnte das Projekt angepackt werden.
Wie haben Sie dann die Bauphase geplant und umgesetzt?
Für die Umsetzung haben wir versucht, alle Leitungen möglichst in öffentlichem Grund zu verlegen. Dafür haben wir auch Umwege in Kauf genommen. Zumal private Hausbesitzer*innen auch schwer zu überzeugen waren, die Leitungsverlegung in ihrem Grund zu erlauben.
Entlang der Trassenführung haben wir auch den Privatgebäuden den Anschluss angeboten. Nach einer öffentlichen Fragestunde wurde dann jedes Haus in Einzelgesprächen meist in den Abendstunden individuell beraten. Das war zeitintensiv und nicht alle konnten überzeugt werden, aber doch einige. Ende 2018 war Baubeginn, im Oktober 2019 war die Leitung unter Dampf und Anfang 2020 hatten wir alle Haushalte angeschlossen.
Wir bieten den Service Wärme- und Warmwasserversorgung im Primärsystem, also von der Erzeugeranlage bis an die Übergabestation der Hausanschlüsse. Zudem haben wir aber auch den Hausbesitzer*innen Hilfe beim Umbau ihrer Sekundärsysteme angeboten. Wir haben bei Förderanträgen und dem Einkauf von Material unterstützt und konnten Großhandelspreise weitergeben. Viele der beteiligten Haushalte haben ihre Gesamtanlage getauscht. So haben wir jetzt den Vorteil, dass wir fast alle Anlagen auf dem selben technischen Stand haben, Ersatzeile vorrätig sind oder wir diese günstig einkaufen können.
Was waren die Herausforderungen und Hürden und worauf sind Sie stolz?
Wir betreiben das Netz jetzt seit 2019. Insgesamt sind es über 50 Gebäude. Seit der Inbetriebnahme konnten in Tutow und Zemmin mehr als 550.000 Liter Heizöl aus fossiler Erzeugung ersetzt und mehr als 1.800 Tonnen CO₂ eingespart werden (Stand Okt 2022).
In der Genehmigungs- und Inbetriebnahme-Phase war die Lernkurve sehr steil und kostete auch viel Geduld und Nerven. Unser Planungsbüro hat uns dabei sehr gut unterstützt. Besonders langwierig waren die Genehmigungsprozesse. Als Folge davon entstehen dann zusätzliche Kosten, die nicht unerheblich sind. Und wie in jedem Bauprojekt, in denen viele verschiedene Gewerke und Dienstleisterfirmen zusammenarbeiten, geht auch mal was schief, Material kann nicht geliefert werden oder Elektronik funktioniert nicht. So mussten wir im Team vieles selbst lösen und lernen, den Betrieb über die Leitstelle zu überwachen. Dafür kennen wir jetzt unsere Anlage aus dem FF.
Der Bau der Rohrleitungen wurde von zwei Seiten gestartet
Wir hatten den Bau der Rohrleitungen von zwei Seiten begonnen, da nicht sofort alle Grundstücksfragen geklärt werden konnten. Obwohl wir uns beim Fertigstellungszeitpunkt nicht festgelegt hatten, haben einige Verbraucher*innen ihre Altheizungen doch etwas zu übereilig ausgebaut, sodass wir ungeplant den ersten Strang der neuen Leitung bereits im November 2019 unter Dampf genommen haben.
Wir sind als Bürgerenergie Zemmin-Tutow GmbH & Co KG Vollversorger und wollten auch den Verbraucher*innen die volle Versorgungssicherheit geben. Aktuell können wir einen sehr günstigen Preis von 7 Cent netto für die KWh anbieten und geben eine zehnjährige Preisbindung für die Verbraucher*innen (Stand Okt 2022). Wir werben mit dem Versprechen, immer auch an Sonntagen oder zu später Stunde bei Problemen erreichbar zu sein und vor Ort für Lösungen zu sorgen. Das sind uns wichtige Anliegen.
Und wir bieten eine moderne Leit- und Steuerungszentrale. Gerade für die kommunalen Gebäude lassen sich so die Verbräuche und Kosten gut überwachen. So können die angeschlossenen Hausanschlüsse ihren Wärmebedarf immer aktuell verfolgen und auch selbst steuern oder wir übernehmen das als Service.
Die Zukunft der Bürgerenergie
Die Bürgerenergie Tutow-Zemmin steht mit der weiteren Planung sozusagen auf Abruf. Aktuell sind die neuen Fördermittelprogramme noch nicht in Kraft, darauf warten wir. Anfragen für weitere Hausanschlüsse für die Nahwärme auf dem Land liegen genug vor. Wir haben das alte Heizhaus in Tutow gekauft und halten das alte Heizkraftwerk noch funktionsfähig. Für uns dient es aber als Ausbaureserve. Was wir sehen ist, dass die Herstellungskosten sich erhöhen. Zum Beispiel hat sich der Rohrleitungspreis verdoppelt. Neue Herausforderungen kommen auf uns zu.
Herr Kühling, vielen Dank für das Gespräch!
Interview und Text stammen von unserer ehemaligen Mitarbeiterin Iris Wessolowski aus dem Jahr 2022
Fazit
Michael Kühling, Geschäftsführer der Bürgerenergie Zemmin-Tutow GmbH, beschreibt den Aufbau des Nahwärmenetzes in Zemmin und Tutow, das seit 2019 Wärme von einer Biogasanlage an öffentliche Gebäude und etwa fünfzig Privathaushalte liefert. Die Idee entstand 2012 und wurde 2016 durch die Zusammenarbeit mit einem Ingenieurbüro und verbesserte Fördermöglichkeiten realisierbar. Kommunikation war entscheidend, um die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger durch Einzelgespräche und Informationsveranstaltungen zu gewinnen, was half, 550.000 Liter Heizöl und über 1.800 Tonnen CO₂ einzusparen. Herausforderungen umfassten komplizierte Genehmigungsprozesse und technische Probleme, die durch engagierte Zusammenarbeit gemeistert wurden. Für die Zukunft plant die Bürgerenergie GmbH den Ausbau des Netzes, steht jedoch vor Herausforderungen wie steigenden Materialkosten und unklaren Förderprogrammen.